Ein gerechter Lohn

Das ist wer weiß wie lange her.

Eines Hochsommers, als große Hitze und Dürre herrschten, verirrte sich ein Krokodil auf der Suche nach Wasser in der endlos weiten Wüste.
Über kurz oder lang kam ein Kaufmann geritten, dem rief es zu: „Gelobt sei Allah! Bruderherz, ich verschmachte! Bringst du mich an einen Fluss, will ich dir’s entgelten. Beim Bart des Propheten, ich zahle dafür jeden Preis!“
„Nun gut, ich schaffe dich hin, nur sollst du mir dein Wort geben, die Gegend, in die ich dich bringe, sogleich wieder zu verlassen und nie mehr Menschen zu fressen!“
Das Krokodil versprach es ihm hoch und heilig. Der Kaufmann band das Krokodil an dem Sattel des Kamels fest und setzte seinen Weg durch die Wüste fort. Am Fluss angekommen, ließ er es in den Uferschlamm gleiten. Es kroch ins Wasser, erholte sich und sann nur noch darauf, wie es das Kamel verschlingen könnte. Als das Kamel trinken wollte, schwamm das Krokodil an es heran und riss den Rachen weit auf.
Da rief der Kaufmann voller Zorn und Gram, selbst das Unglück verschuldet zu haben: „Ich plagte mich ab, dich vom Tode zu erretten, und du willst mir die Mühe mit Undank vergelten!“
„Das Kamel ist mein“, antwortete ihm das Krokodil, „ich bin auf ihm her geritten und darf es fressen. Denkst du darüber anders, lass uns zur Alten Kuh, der Urahnin sehr vieler Kühe und Kälber gehen, sie soll entscheiden, wer von uns beiden im Recht ist.“
Der Kaufmann stimmte dem zu, und sie begaben sich zur Alten Kuh, der Urahnin sehr vieler Kühe und Kälber, die unweit am Flussufer weidete. Die Kuh gab dem Kaufmann unrecht: Menschen hätten sie schlachten wollen, obwohl sie sehr vielen Kühen und Kälbern das Leben geschenkt und den Menschen zum Wohle gedient habe. Das Krokodil, entschied sie, habe das Recht, mit dem Kamel nach Belieben zu verfahren.
Wie nun das Krokodil abermals den Rachen aufriss, um das Kamel zu verschlingen, kam ein alter Mann, der Dorfrichter, ans Ufer, um Wasser zu schöpfen. Der Kaufmann bat den Alten, seine Meinung zum Streitfall zu äußern. Nach­dem man ein Tier befragt habe, meinte er, solle man auch einen Menschen zu Rate ziehen. Das Krokodil fand dagegen nichts einzuwenden, und so lauschten beide, Kaufmann und Krokodil, dem Wort des Richters.
„Fürs erste“, sagte der, „sollt ihr mir glaubhaft nachweisen, wie das Krokodil auf dem Kamel aus der Wüste an den Fluss reiten konnte! Ich halte das für unmöglich! “
„Ich band es am Sattel fest“, erklärte der Kaufmann.
„Ich glaube dir kein Wort, ehe du mich nicht durch Beweise überzeugt hast, dass so etwas möglich ist!“
„Na gut!“ sprach das Krokodil. „Binde mich noch einmal an den Sattel, damit der Richter uns Glauben schenkt!“
Der Kaufmann ließ das Kamel niederknien und band das Krokodil fest an den Sattel.
„Hast du eine Waffe zur Hand?“ fragte der Kadi, der in aller Ruhe zugesehen hatte. –
„Nur diese Axt hier“, erwiderte der Kaufmann.
„Lass das Reittier aufstehen!“
Als das Kamel sich erhoben hatte, fragte der Kadi den Kaufmann: „Wie heißt du eigentlich?“
„Muchtar ist mein Name“, antwortete der Kaufmann.
„Höre auf mein Wort, Muchtar“, sprach der Alte, „hole mit der Axt aus und hacke das Untier in Stücke!“
Der Kaufmann gehorchte und erhob die Axt. Da wandte sich das Krokodil in seinen Fesseln und winselte: „Das Kamel gehört dem Kaufmann! Das Kamel gehört dem Kaufmann!“
Der Kaufmann aber war diesmal klüger, und das Krokodil nahm ein klägliches Ende.

So ergeht es dem Undankbaren.

Ägyptisches Märchen