Nichts Schlimmeres gibt es als Menschen, die ihre Zunge nicht im Zaum halten können. Am allerschlimmsten ist es um die Weiber bestellt. Kaum haben sie etwas erfahren, rennen sie zur Nachbarin.
„Ach, liebe Gevatterin, was ich da gehört habe! Euch kann ich es ja erzählen, aber sprecht um Himmels willen nicht darüber, denn keine Menschenseele darf davon ein Sterbenswörtchen erfahren!“
Die liebe Gevatterin aber erzählt’s wiederum einer Gevatterin, die einer dritten, die dritte einer fünften und zehnten, und schon weiß das ganze Dorf, was niemand wissen sollte.
Und nun erzähle ich euch mein Märchen.
Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hießen Petro und Chwesska. Chwesska war ein schmuckes Weibchen vom Scheitel bis zur Sohle; sie hatte nur einen Makel: Ihre Zunge war allzu flink. Was immer Petro ihr auch erzählen mochte, ihre geschwätzige Zunge plauderte alles aus. Am liebsten hätte der Mann seiner Frau gar nichts mehr erzählt. Er redete mit ihr im guten wie im bösen, gegen ihre Schwatzhaftigkeit aber war kein Kraut gewachsen.
Als Petro eines Tages zum Pflügen aufs Feld hinausgefahren war, fand er in seinem Acker einen Haufen Geld. Damals aber herrschten noch die Pans im Lande, und Petro dachte bei sich: Wenn der Gutsverwalter von dem Geld erfährt, nimmt er’s mir weg. Und er wird gewiß davon erfahren, denn vor Chwesska kann ich’s nicht verheimlichen, und die trägt die Geschichte im ganzen Dorf herum. Was soll ich nur tun? Lange zerbrach sich der Ärmste den Kopf, schließlich hatte er einen Einfall und sagte sich: „Ich werde ihr die üble Gewohnheit ein für allemal austreiben, dann geht uns das Geld nicht verloren!“
Er trug das Geld nach Hause und versteckte es heimlich vor seiner Frau. Am nächsten Tag fuhr er auf den Markt und kaufte dort einen ganzen Sack voll Kringel sowie einen toten Hasen. Auf dem Heimweg ging er zum Fluß, nahm aus den Beutelnetzen und der Reuse alle Fische und steckte den Hasen in die Reuse. Darauf ging er in den Wald, legte die Fische unter Büsche und Sträucher und hängte die Kringel an einen Birnbaum, der am Waldessaum stand. Dann kehrte er heim. Nachdem er mit seiner Frau zu Mittag gegessen, sagte er: „Komm, liebe Frau, wir gehn jetzt in den Wald und sehn einmal nach, vielleicht finden wir dort ein paar Fische. Die könnten wir auflesen.“
„Bist du bei Sinnen, lieber Mann?“ rief Chwesska. „Im Wald gibt’s doch keine Fische!“
„Warum nicht?“ antwortete Petro. „Mir deuchte, es hat heuer im Walde nach Fischen gerochen. Komm nur mit.“
Chwesska glaubte ihm nicht, folgte ihm aber. Im Wald angelangt, erblickte sie die Fische, die unter den Sträuchern lagen.
„Siehst du, Chwesska?“ meinte Petro. „Hab ich dir’s nicht gesagt?“
„Das ist aber seltsam!“ antwortete sie. „Mein Lebtag hab ich so etwas Seltsames nicht gesehen!“
„Komm“, sagte Petro, „jetzt gehen wir zum Flüßchen und schaun mal in den Beutelnetzen oder in der Reuse nach, vielleicht hat sich dort ein Hase gefangen.“
„Was fällt dir ein!“ rief Chwesska. „Bist du von Sinnen? Wo hätte es das jemals gegeben, daß sich Hasen in Reusen fangen?“
„So, meinst du? Fische im Wald hattest du auch nicht vermutet und hast doch welche dort gefunden. Komm nur mit!“
Sie machten sich auf den Weg. Und als sie an den Waldessaum kamen, sah Chwesska einen Birnbaum stehen, an dem hingen Kringel über Kringel, daß sich die Zweige bogen.
„Mann, lieber Mann!“ rief sie. „Sieh doch nur die Kringel an dem Birnbaum. Wachsen die denn an Bäumen?“
„Natürlich nicht“, gab er zur Antwort. „Es wird wohl eine Kringelwolke gekommen sein; die ist am Wald hängengeblieben, und da hat es Kringel geregnet.“
„Ach, schütteln wir sie doch herunter, lieber Mann!“ Sie schüttelten die Kringel vom Baum und gingen zum Fluß. Petro zog das erste Beutelnetz heraus, aber es war leer, er zog das zweite heraus, auch das war leer, danach zog er die Reuse heraus, und siehe, darin steckte ein Hase.
„Ach, du meine Güte!“ rief Chwesska verwundert. „Ein Hase in der Reuse! Wie lange bin ich nun schon auf der Welt, aber so etwas hab ich noch nicht erlebt!“
„Du hast so manches noch nicht erlebt!“ entgegnete Petro. „Aber nun komm nach Hause, es ist schon spät!“ Sie luden sich alles auf und gingen.
Zu Hause schnatterte Chwesska sogleich los: „Das ist aber heute ein Tag! Wie lange bin ich nun schon auf der Welt, aber so etwas hab ich noch nicht erlebt: Fische im Wald, ein Hase in der Reuse, Kringel am Birnbaum!“
„Das ist noch gar nichts“, sagte Petro. „Was noch seltsamer ist, ich habe am heutigen Tage auch noch Geld gefunden.“„Was du nicht sagst!“
„Bei Gott, ich hab wirklich welches gefunden!“
„Wo ist es denn, lieber Mann?“
„Hier!“ Und er zog das Geld hervor.
„Jetzt werden wir reiche Leute, lieber Mann.“
„Wer weiß? Wenn der Gutsverwalter davon erfährt, nimmt er es uns sofort weg.“
„Aber wie soll er das erfahren?“ fragte Chwesska. „Ich werd’s niemandem verraten.“
„Gib acht, Frauchen, halt deinen Mund, sonst ist es um uns geschehen. Und erzähl keinem Menschen, was wir im Wald und im Fluß gefunden haben. Denn wenn die Leute das erfahren, werden sie sofort dahinterkommen, daß ich Geld gefunden hab. An solchen Tagen pflegt man auch einen verborgenen Schatz zu finden.“
Das hatte Petro im Scherz gesagt, aber Chwesska beteuerte: „Ich werd bestimmt keinem Menschen etwas verraten.“
Am selben Abend erhob sich im Dorf ein Heidenlärm. „Was gibt’s dort, lieber Mann?“ fragte Chwesska. „Dort gibt’s …“
„Ja, was gibt es denn dort? Ich geh schnell nachschauen.“
„Du solltest Augen und Ohren besser vor solch garstigen Dingen verschließen!“ sagte Petro.
„So sag’s mir doch, Petro, du mein Lieber, Guter, ich bitt dich!“
„Unser Pan Gutsverwalter hat dem Tennenwächter Würste gestohlen“, sagte er schließlich. „Nun wird er durchs Dorf geführt und mit den Würsten verprügelt, damit er’s nicht wieder tut.“
Das war ebenfalls ein Scherz, aber Chwesska glaubte Petro nun jedes Wort und brannte vor Ungeduld, die Neuigkeit loszuwerden.
„Ach, wie schrecklich!“ rief sie. „Das muß ich gleich der Gevatterin Melanka erzählen!“ Und sprang auf.
„Bleib du hübsch daheim“, sagte Petro. „Du kennst doch unsern Pan Gutsverwalter! Wenn der erfährt, was du über ihn geschwätzt hast, frißt er uns beide auf.“
Chwesska gehorchte und blieb daheim. Einen Tag lang oder auch zwei hütete sie ihr Geheimnis, dann hielt sie es nicht länger aus – warum soll man auch sein Glück verschweigen? – und rannte zur Gevatterin Melanka. Sie lief zu ihr in die Stube, sagte „Guten Tag!“ und setzte sich. Sie saß ein Weilchen stumm wie ein Fisch, obwohl sie darauf brannte, die Neuigkeit zu erzählen, aber noch zügelte sie ihre Zunge. Doch dann schnatterte sie los:
„Nichts als Kummer und Not erfahren die armen Leute auf der Welt, auch uns geht es nicht besser. Wollt ich mir doch zum Feiertag neue Schuhe anmessen lassen, und nun reicht das Geld nicht.“
„Was wahr ist, ist wahr, Gevatterin“, pflichtete ihr Melanka bei, „ich sag auch immer …“
Aber Chwesska ließ sie nicht ausreden.
„Bald werden wir vielleicht, wenn das Schicksal es will, nicht mehr arm sein“, platzte sie heraus.
„Was sprecht ihr da?“ forschte Melanka und spitzte die Ohren.
„Ach, Gevatterin, ich weiß nicht, ob ich’s sagen soll!“
„So sprecht doch, erzählt nur!“ drängte Melanka.
„Ich weiß nicht, ob ich’s sagen soll, mein Mann hat mir befohlen, niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen davon zu verraten!“
„Aber meine Liebe! Bin ich denn eine Klatschbase? Das werden nur ich und meine vier Wände erfahren!“ redete ihr Melanka zu.
„Ja, wenn’s so ist, liebe Gevatterin, dann sag ich’s, aber nur Euch, und Ihr dürft niemandem etwas davon verraten.“
Und flüsternd erzählte sie ihr von dem Geld.
Kaum hatte Chwesska das Haus verlassen, warf sich Melanka die Jacke über und lief spornstreichs zur Gevatterin Priska.
„Ach, Gevatterin, habt Ihr schon gehört?“
Und weil gerade Feiertag war, ging die Gevatterin Priska zur Gevatterin Maryna, bei der schon die Gevatterin Jawdocha saß, und gleich war die Unterhaltung in vollem Gange. Sie aßen und tranken und erzählten auch von Petros Geld.
Am selben Tage noch geriet Petro mit Chwesska in Streit und schalt sie tüchtig aus. Da zeterte sie: „Na warte nur, du Grobian, dir werd ich’s schon besorgen!“
Rannte davon und posaunte durchs ganze Dorf, ihr Mann hätte sie ausgeschimpft und um ein Haar verprügelt, und Geld hätte er gefunden, das hielte er bei sich versteckt, und erzählte, was weiß ich noch alles.
Ein paar Tage drauf wurde Petro zum Gutsverwalter bestellt. Der herrschte ihn an: „Gesteh, du mißratener Kerl, hast du Geld gefunden?“
„Nein“, antwortete Petro.
„Aber deine Frau hat’s doch gesagt!“
„Was kann meine Frau schon gesagt haben! Die ist doch nicht ganz richtig im Kopf, schwätzt alles mögliche zusammen.“
„Aha, so einer bist du!“ sagte der Gutsverwalter. „Holt seine Frau her!“
Die Diener rannten davon und brachten Chwesska vor den Gutsverwalter.
„Hat dein Mann Geld gefunden?“ fragte er.
„Freilich, Pan Gutsverwalter.“
„Da hörst du es“, sagte der zu Petro.
„Was sie nur alles zusammenschwätzt“, antwortete da Petro. „Fragt sie einmal, wann das gewesen sein soll.“
„Wann war das?“ forschte der Gutsverwalter.
„Hm, wann das war? Just an dem Tag, als es die Fische in den Wald zog und wir in den Wald gingen und sie unter den Sträuchern auflasen.“
„Nun, und was weißt du noch?“ fragte Petro.
„Einerlei! Jetzt kannst du ohnehin nichts mehr ableugnen. Also das war, als wir im Wald die Fische auflasen, als die Kringelwolke vorbeigezogen war und wir die Kringel vom Baum schüttelten und als sich der Hase in der Reuse gefangen hatte.“
„Da hört Ihr’s, Pan“, sagte Petro. „Sind das vernünftige Reden? Nun muß sie Euch auch haargenau erzählen, wie und wann das war.“
„Wie und wann? Na just an dem Tag, als Ihr, gnädiger Pan, durchs Dorf geführt wurdet.“
„Wieso wurde ich durchs Dorf geführt?“ forschte der Gutsverwalter.
„Das war … Ich bitt um Vergebung, gnädiger Pan, aber da Ihr mich fragt, muß ich’s schon sagen, das war just an dem Tag, als man Euch mit den Würsten verprügelte, die Ihr dem Tennenwächter gestohlen hattet.“
eich der Satan holen!“ brüllte der Gutsverwalter.
„Dich soll doch gleich der Satan holen!“ brüllte der Gutsverwalter.
„Du wagst es, so mit mir zu reden? Nehmt sie und prügelt sie windelweich, auf daß sie nicht, weiß der Teufel was, zusammenfaselt!“
Da legte sich Petro ins Mittel und bat um Gnade für seine Frau, weil sie doch nicht voll bei Verstand sei. Der Gutsverwalter bedachte sich’s – sie war ja tatsächlich nicht ganz gescheit – und ließ sie laufen.
Also machten sich Petro und Chwesska auf den Heimweg. Er lachte sich ins Fäustchen, sie aber ließ den Kopf hängen, denn nun wußte sie: Petro hatte sie hinters Licht geführt. Daheim brach sie in Tränen aus.
„Du hast mich reingelegt!“ schluchzte sie.
„Chwesska, liebes Weibchen!“ antwortete Petro. „Nicht ich hab dich reingelegt, sondern du dich selbst. Bezwinge deine Schwatzsucht, und es wird dir nichts mehr geschehen. Und jetzt sei wieder gut, versöhnen wir uns.“
Sie versöhnten sich, lebten von nun an in Eintracht und Frieden und gaben das Geld mit Bedacht aus. Chwesska sah ein, wohin es führt, wenn man die Zunge nicht im Zaum hält. Allmählich kamen sie zu Wohlstand. Sie kauften sich vom Pan los, wurden freie Menschen und hatten ein auskömmliches Leben. Noch oft aber sprach Petro zu seiner Frau: „Nun, Chwesska, wenn ich dich nicht reingelegt hätte, wären wir dann frei und könnten leben so wie jetzt?“
Märchen aus der Ukraine