Der gewitzte Knecht

Ein Pope hatte einen Knecht, der hieß Iwan. Wie bekannt, pflegten die Popen ihren Knechten schlechtes Essen vorzusetzen. Nie gaben sie ihnen frisches Brot, immer war es altbacken und oftmals sogar steinhart.
Eines Tages kam noch zu später Stunde ein reicher Mann und ließ sein Kind taufen. Iwan aber hatte aufgepasst, wo die Magd das Brot versteckte, das jener mitgebracht. Am Abend nahm er es und trug es in seine Behausung. Da dachte er bei sich: Ein Dummkopf war ich, wollt ich trocken Brot essen! Ich geh in den Keller und hol mir saure Sahne dazu.
Während die Magd noch in der Küche zu tun hatte, ging er auf den Hof, schlich in den Erdkeller und machte sich über die Sahne her; er aß und trank sich satt und ging davon. Etwas Sahne aber war auf die Erde getropft, und als nun die Popenfrau am nächsten Morgen in den Keller kam, merkte sie, dass jemand von der Sahne gegessen hatte.
„Unser Iwan fängt an zu stibitzen“, klagte sie dem Popen.
Der rief Iwan zu sich und fragte: „Iwan, fängst du an zu stibitzen?“
„Kein einzig Mal hab ich etwas stibitzt, Väterchen“, antwortete Iwan.
„Dann sind es wohl die Heiligen gewesen, was?“ fragte der Pope.
„Wer weiß“, entgegnete Iwan, „vielleicht waren es die Heiligen!“
Am nächsten Tage tat sich Iwan wiederum im Keller gütlich. Dann nahm er die Kirchenschlüssel und den Topf mit Sahne und ging zur Kirche. Er schloss sie auf, trat ein und strich den Heiligen Sahne um den Mund. Dem heiligen Nikolai aber, dem obersten Heiligen, bestrich er außerdem noch den Bart. Dann schloss Iwan die Kirche wieder zu und ging heim.
Als die Popenfrau am nächsten Morgen in den Keller kam, sah sie, dass der ganze Sahnetopf verschwunden war. Sie lief sogleich zu dem Popen und sagte: „Wieder hat Iwan gestohlen, hat den ganzen Sahnetopf weggeschleppt.“
Der Pope rief Iwan zu sich und fragte: „Iwan, hast du das getan?“
„Nein“, antwortete Iwan.
„Wer denn?“ meinte der Pope. „Etwa die Heiligen?“
„Die werden es wohl gewesen sein“, gab Iwan zur Antwort.
Für den Popen aber war es höchste Zeit, zur Morgenmesse zu gehen, denn der Küster hatte schon geläutet. Als der Pope nun die Kirche betrat, was sah er da? Sämtliche Heiligen hatten Sahne am Mund. Da schloss er die Kirche schleunigst ab und sagte zum Küster: „Hör auf zu läuten. In der Kirche ist es nicht geheuer. Heut halten wir keine Messe ab!“ Damit lief er heim und klagte der Popenfrau: „Übles ist uns widerfahren. Die Heiligen haben die Sahne gegessen.“ Der Pope, die Popenfrau und Iwan machten sich auf zur Kirche, unterwegs aber sagte die Popenfrau: „Iwan, lauf schnell und hol die Knute!“
Als Iwan mit der Knute zur Stelle war, schloss der Pope die Kirche auf, und sie traten ein.
„Iwan!“ befahl die Popenfrau. „Schlage jeden Heiligen einmal, den heiligen Nikolai aber zweimal, denn er hat die anderen angestiftet.“
Iwan schlug jeden Heiligen einmal und den heiligen Nikolai sogar dreimal mit der Knute. Dann gingen sie heim.
In der nächsten Nacht holte sich Iwan die Kirchenschlüssel, ging zur Kirche, schloss sie auf, nahm alle Heiligen und versteckte sie auf dem Dachboden. Als der Pope am Morgen, es war gerade Feiertag, in die Kirche kam, waren alle Heiligen aus der Kirche verschwunden. Spornstreichs rannte er heim.
„Iwan, hast du sie gesehn?“ schrie er.
„Wen?“ fragte Iwan.
„Die Heiligen. Sie sind weggelaufen.“
„Gesehn hab ich sie“, gab Iwan zur Antwort. „Sie kamen auf den Hof, lärmten laut und wollten Euch unbedingt sprechen. Weil Ihr aber schliefet, mochten sie Euch nicht wecken. Ganz böse sind sie weggegangen.“
Der Pope eilte auf die Straße. Da kam just eine Frau vorüber, die ging Wasser holen.
„Hör, hast du sie nicht gesehn?“
„Freilich, sie sind den Hügel hinaufgegangen“, erwiderte die Frau und meinte, der Pope habe sie nach den Bauern gefragt, die den Hügel hinaufgingen und das Land aufteilen wollten. Da rannte der Pope auf den Hof zurück.
„Iwan“, schrie er, „schwing dich schnell aufs Pferd und jag ihnen nach! Und sag ihnen, ich wollte jeden ihrer Wünsche erfüllen, wenn sie nur zurückkämen!“
Iwan bestieg das Pferd, ritt hinter den Hügel, wo sich die Bauern versammelt hatten, um das Land aufzuteilen. Er setzte sich ein Weilchen zu ihnen, rauchte ein Pfeifchen und ritt dann zurück.
„Nun, was ist?“ forschte der Pope.
„Ja, Väterchen, sie sind sehr böse. Und sie haben gesagt: „Wir kehren erst dann zurück, wenn der Pope einem jeden von uns drei Rubel zahlt und dem heiligen Nikolai sechs.“ Dazu verlangen sie noch ein Quart Branntwein und eine Schüssel voll Quarkpiroggen mit saurer Sahne. Und dann haben sie noch gesagt, sie kehrten erst nachts zurück, weil es doch peinlich sei, wenn jemand sie sehe.“
„Gut!“ sagte der Pope. „Reite flink hin und richte ihnen aus, ich würd alles tun, wenn sie nur zurückkehrten.“
Iwan sprengte abermals hinter den Hügel, plauderte dort ein Weilchen mit den Bauern und ritt dann heim. Dem Popen aber erzählte er: „Den Branntwein und das Essen sollt Ihr zur Nacht auf dem Hof bereithalten.“
Der Pope tat, wie ihm geheißen, legte auch das Geld dazu, und die Popenfrau stellte eine Schüssel voll Quarkpiroggen hin. Und dann warteten sie. Sie warteten bis Mitternacht, aber die Heiligen wollten nicht kommen.
„Iwan“, sagte der Pope schließlich, „ich geh jetzt schlafen. Weck mich, wenn sie da sind!“
Und schnarchte kurz darauf, dass es nur so eine Art hatte. Iwan und der Küster aßen sich an der Sahne und den Piroggen satt, holten dann die Heiligen vom Dachboden, wuschen sie ab, trugen sie wieder in die Kirche und legten sich ebenfalls zu Bett.
Am nächsten Morgen fuhr der Pope aus dem Schlaf und wunderte sich, dass Iwan ihn nicht geweckt hatte.
Da sah er, dass die Sahne und die Quarkpiroggen ratzekahl aufgegessen waren und Iwan schlief. Er rüttelte ihn wach.
„Iwan, Iwan, steh auf!“
Iwan rieb sich die Augen.
„Wo sind die Heiligen?“ forschte der Pope.
„Ei, die waren hier, haben gegessen und getrunken und mir auch etwas abgegeben. Danach sind sie zurück in die Kirche gegangen.“
„Und warum hast du mich nicht geweckt?“ fragte der Pope.
„Das wollt ich ja tun, aber der heilige Nikolai sagte: ,Weck das
Väterchen nicht, es schläft grad so süß und war gar noch gekränkt!'“

Märchen aus der Ukraine