Es lebte in einem Khanat ein Mann, dem gebar die Frau einen Sohn.
Der Junge wuchs sehr schnell heran, wurde alsbald so groß und behend, dass der Vater ihm ein rotbraunes Fohlen schenkte, auf dem er in die Steppe hinausreiten konnte. Auch Bogen und Pfeile führte der Junge und erlegte so manchen Fuchs und Hasen.
Eines Tages kam der Khan durch die Gegend geritten und hörte die Leute reden: „Seht mal den Recken da, der hat nicht seinesgleichen! Ihn müsste man als Khan über das Volk einsetzen. Unser Herrscher gleicht einem übertränkten Pferd, fressen tut er viel, aber vor der Arbeit drückt er sich.“
Erzürnt beschloss der Khan, den Jungen aus der Welt zu schaffen. Er ließ ihn zu sich in seine Jurte führen und sprach: „Man munkelt, du seist der stärkste Mann im ganzen Khanat, und von deinem Reittier behaupten die Leute, es sei das feurigste hierzulande. Reite also gen Süden, wo Mangus, der zehnköpfige Menschenfresser haust, und bringe ihn vor meine Jurte!“
Der Junge fand nichts dagegen einzuwenden, bat nur inzwischen eine Grube für das Ungeheuer ausheben zu lassen.
Er zäumte das Fohlen, holte sich einen hundert Klafter langen Ukrjuk — ein Wurfgerät zum Pferdefang — und ritt von dannen. Er jagte dahin, dass ihm der Wind um die Ohren pfiff. Plötzlich schnaufte das Fohlen, tat einen Schritt rückwärts und bäumte sich auf.
„Warum galoppierst du nicht weiter?“ fragte der Junge.
„Siehst du nicht in der Ferne, wo sich Himmel und Erde berühren, etwas als kaum erkennbaren Punkt auftauchen?“ erwiderte das Fohlen.
„Doch, doch, es scheint da ein Berg zu ragen.“
„Weit gefehlt! Es ist der Mangus, der zehnköpfige Menschenfresser, hoch zu Ross.“
„Worauf warten wir denn noch!“ rief der Junge und riss sich den Bogen von der Schulter.
„Nein, halt ein“, hielt ihn das Fohlen zurück. „Warte, bis der Riese absitzt, zu Ross ist er unbesiegbar. Verbirg dich im Laub des Baumes am Wegrand und halte deinen Ukrjuk bereit!“
Der Junge befolgte den Rat. Als der Mangus das Fohlen sah, das frei in der Steppe umherlief, gab er seinem Ross die Sporen und ritt ihm nach. Das Fohlen lockte ihn zum Baum und blieb da vor ihm stehen. Der Mangus saß ab und versuchte, es am Zaum zu fassen. Im selben Augenblick warf der Junge dem Riesen den Ukrjuk über, sprang vom Baum auf das Fohlen und jagte schneller, als das Feuer in der verdorrten Steppe um sich greift, gen Norden. Den Mangus aber schleifte er hinter sich her.
Alsbald hörten der Khan und sein Gefolge ein fernes Gedröhne. Reittiere richteten sich auf den Hinterbeinen auf, es brüllte das Vieh, Erdmassen kamen ins Rutschen.
Alle erschraken zu Tode.
„Ahnst du, o Herrscher, was da vor sich geht?“ fragte einer der Berater den Khan.
„Ein Erdbeben, dünkst’s mich, erschüttert den Boden.“
„Du täuscht dich, es ist der Mangus, der naht“, belehrte ihn der Weise.
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, lag schon der Riese im Staub vor der Jurte, ächzte und krächzte, wandte sich hin und her, konnte aber die Fesseln nicht abstreifen, die der junge Recke ihm angelegt hatte.
Man stieß das Ungeheuer in die Grube, die dreißig Klafter tief war, und der Khan hieß den Sieger willkommen und bot ihm seine Tochter zur Frau und das halbe Reich dazu.
„In der Jurte des Khans ist gut leben“, erwiderte der Junge und verneigte sich tief, „weit besser aber zu Hause, im Zelt der Eltern. Freiheit ist das höchste Gut!“
Sprach’s, schwang sich auf das rotbraune Fohlen und sprengte davon.
Mongolisches Märchen