Vom Wäscher, dem Esel und der Tigerhaut

Im Süden Indiens lebte einst ein Wäscher, der es mit der Ehrlichkeit nicht so genau nahm und auch einmal einen krummen Weg gerade sein ließ, sprang nur etwas für ihn dabei heraus.
Zu seinem Besitz zählte auch ein Esel. Da aber der Wäscher nicht nur unehrlich, sondern obendrein ein unverbesserlicher Geizkragen war, kargte er mit Futter so sehr, dass der Esel mehr und mehr an Ansehen verlor und schließlich in seiner dürren Gestalt ein wahres Bild des Jammers bot.
„Wo soll das hinführen?“ ereiferten sich die Bauern, denn der Esel tat ihnen leid. „Du musst ihn besser füttern!“
Der Wäscher aber hatte für all ihre Vorstellungen nur taube Ohren. „Mischt euch nicht in Dinge, die euch nichts angehen!“ schrie er, „wem zu wohl in seiner Haut ist, der sage es nur frei heraus, ich will ihm schon das Fell gerben!“
Da schwiegen die Bauern. Der Wäscher aber trieb es ärger als zuvor und wartete auf eine Gelegenheit, es den unbequemen Mahnern heimzuzahlen. Eines Tages führte ihn sein Weg durch den Dschungel, und der Zufall wollte es, dass er auf den Kadaver eines Tigers stieß.
„Holla, der kommt mir wie gerufen!“ lachte der Wäscher höhnisch. „Ich will dem Räuber das Fell abziehen und es dem Esel umhängen, dann kann ich ihn nachts auf die Felder treiben. Die Bauern werden ihn für einen Tiger halten und sich hüten, ihm in die Quere zu kommen. Mein Esel wird prächtig dabei gedeihen!“
Gesagt, getan. Und fortan weidete der Esel im Schutz des Tigerfells. Kündigte sich ein neuer Tag an, erschien der Wäscher, sah sich vorsichtig nach allen Himmelsrichtungen um und brachte den Esel auf Umwegen zu seiner Hütte zurück.
So ging es geraume Zeit. Der Esel ließ sich die Kur wohl gefallen, und schließlich war er so fett, dass er kaum mehr in seinen Stall hineinging. Die Bauern vermochten sich die Veränderung nicht zu erklären, sahen sie doch zwischen Tiger und Esel keinen Zusammenhang. Doch wie es in der Welt zugeht, einmal ereilt das Schicksal jeden, und auch der Esel bildete keine Ausnahme.
Eines Nachts, als er wie gewöhnlich auf den Feldern weilte, um sich den Bauch voll Gerste zu schlagen, vernahm er von ungefähr in der Ferne den Ruf einer Eselin. Im Nu war alle Vorsicht vergessen. Freudig hob er den Kopf und schrie, so laut er nur konnte: „I-a, i-aa, i-aaa!“
Da merkten die Bauern den Betrug und verabreichten dem Sänger eine gehörige Tracht Prügel. Den betrügerischen Wäscher aber jagten sie mit Schimpf Schande aus dem Dorf, und keiner hat je wieder etwas von ihm gehört.

Indisches Märchen