Die mildtätige Gutsherrin

Die mildtätige Gutsherrin

Es war einmal eine Gutsherrin, das war aber eine, ei, ei, ei! Nun, ihr werdet ja sehn, was für eine es war!
Kam da eines Tages ein alter Mann zu ihr und bat um ein Almosen. Trat an die Tür, murmelte ein Gebet und sprach: „Spendet eine milde Gabe, um Christi willen! Erbarmt Euch eines armen Bettlers zur Rettung Eurer Seele, mildtätige Herrin!“
Das hörte die Gutsherrin und dachte bei sich: Warum sollt ich nicht? Hier dieses kleine Ei will ich ihm geben. Wozu auch knausern? Zur Rettung meiner Seele geschieht es doch! Rief ihn also ins Haus und gab ihm ein winziges Ei.
„Da hast du ein Ei, Großvater“, sagte sie, „laß es dir schmecken, Alter, und bete für mich zu Gott.“
Der alte Mann nahm das Ei und verneigte sich. „Ich danke Euch, Herrin! Möge Euch der Herrgott Eure Güte lohnen!“
Und ging davon. Weiterlesen

Die Glasaugen

Ein Bauer brachte einmal seine Steuern in die Kreisstadt. Der Schreiber nahm sie entgegen, sah in seinem Buche nach und sagte:
„Hier steht noch ein Rückstand von zehn Rubeln verzeichnet!“
„Ich hab aber längst alles bezahlt“, widersprach der Bauer.
„Das hast du nicht. Du bist noch etwas schuldig.“
„Nein, nichts bin ich schuldig.“
„Doch bist du es!“
„Nein, nichts bin ich schuldig!“
Da erkannte der Schreiber, dass er den Bauern diesmal nicht betrügen konnte. Um sich aus der Sache herauszuwinden, sagte er zu seinem Untergebenen:
„Gib mir mal die Brille!“ Setzte sie auf und sah noch einmal im Buche nach.
„Stimmt, du bist nichts schuldig.“
Da erwiderte der Bauer: „Gott möge den Glasaugen Gesundheit schenken und die Eurigen zerspringen lassen!“

Ukrainisches Märchen

Das Öchslein aus Stroh

Es waren einmal ein alter Mann und eine alte. Frau, die lebten in großer Armut. Der Mann arbeitete als Pechsieder in einer Pechsiederei, die Frau aber saß daheim und spann, und der Erlös aus ihrer Hände Arbeit reichte nur fürs Essen und Trinken. Eines Tages bat die Frau ihren Mann: „Mach mir doch ein Öchslein aus Stroh, Alter, und verpich es mit Pech.“
„Was du da schwätzest, du dummes Weib! Wozu brauchst du ein solches Öchslein?“
„Mach es nur, ich weiß schon wozu.“ Wohl oder übel musste sich der Mann darein schicken, machte ein Öchslein aus Stroh und verpichte es mit Pech. Dann legten sie sich schlafen.
Am nächsten Morgen nahm die Frau ihre Spindel, trieb das Öchslein auf die Weide, setzte sich auf einen Hügel, drehte die Spindel und sprach: „Weide, Öchslein, weide grünes Gras, ich dreh indes die Spindel. Weide, Öchslein, weide grünes Gras, ich dreh indes die Spindel.“
Sie drehte die Spindel, sie spann den Faden, und schließlich schlummerte sie ein. Da kam ein Bär aus dem dichten Wald, aus dem düsteren Tann, und sprang auf das Öchslein zu. „Was bist du für einer?“ fragte er. „Sag an.“
Antwortete das Öchslein: „Ein Öchslein bin ich armer Wicht, aus Stroh gemacht, mit Pech verpicht.“
„Ei“, sagte da der Bär, „wenn du aus Stroh bist und mit Pech ver­picht, dann gib mir ein wenig von dem Pech, damit ich mir meine zerschundene Hüfte verpichen kann.“
Das Öchslein aber stand still und stumm. Da schnappte der Bär ihm in die Flanke und wollte ein wenig von dem Pech abbeißen. Er biss und biss, doch die Zähne blieben ihm kleben, er konnte sie nicht wieder herausziehen. So zerrte und zauste er das Öchslein und zerrte es Gott weiß wohin.
Als die Frau erwachte, war das Öchslein verschwunden. „O weh, wohin mag wohl mein Öchslein geraten sein? Am Ende ist es gar schon heimgelaufen.“ Weiterlesen

Die Wunder-Gusli

Es war einmal ein Müller, der hatte einen Mühlknecht. Fleißig ging er dem Müller zur Hand. Und als er ihm drei Jahre lang gedient hatte, sprach er: „Meister, gebt mir ein Zehrgeld, ich will in meine Heimat ziehen.“
„Geld besitze ich nicht“, antwortete der Müller, „aber ich will dir eine Gusli geben. Wenn du auf ihr spielst, wirst du Wunder über Wunder erleben.“ Der Müller verstand sich nämlich aufs Zaubern.
Der Bursche nahm die Gusli und machte sich auf den Weg. Er wanderte fürbaß, und als er durch einen Wald kam, wurde er von Räubern überfallen.
„Wohin so eilig, Weißmüller?“ fragten sie.
„In die Heimat“, entgegnete er.
„Gib dein Geld her. Wenn nicht, bist du des Todes.“
„Ich habe kein Geld, wohl aber eine Gusli. Wenn ich auf ihr spiele, werdet ihr Wunder über Wunder erleben.“
„Nun, dann spiel.“
Der Mühlknecht hub an zu spielen, da mussten die Räuber tanzen und konnten nicht wieder aufhören.
„Ach, lieber Weißmüller, halt ein, halt ein, wir geben dir auch einen Sack voll Gold.“
Da hörte der Mühlknecht auf zu spielen, und die Räuber Weiterlesen