Die mildtätige Gutsherrin

Es war einmal eine Gutsherrin, das war aber eine, ei, ei, ei! Nun, ihr werdet ja sehn, was für eine es war!
Kam da eines Tages ein alter Mann zu ihr und bat um ein Almosen. Trat an die Tür, murmelte ein Gebet und sprach: „Spendet eine milde Gabe, um Christi willen! Erbarmt Euch eines armen Bettlers zur Rettung Eurer Seele, mildtätige Herrin!“
Das hörte die Gutsherrin und dachte bei sich: Warum sollt ich nicht? Hier dieses kleine Ei will ich ihm geben. Wozu auch knausern? Zur Rettung meiner Seele geschieht es doch! Rief ihn also ins Haus und gab ihm ein winziges Ei.
„Da hast du ein Ei, Großvater“, sagte sie, „laß es dir schmecken, Alter, und bete für mich zu Gott.“
Der alte Mann nahm das Ei und verneigte sich. „Ich danke Euch, Herrin! Möge Euch der Herrgott Eure Güte lohnen!“
Und ging davon. Die Gutsherrin aber dachte: Wie gut, daß ich ihm das Ei spendete. Wozu auch knausern? Wenn er mich nur nicht vergißt! Und schon rief sie ihm hinterdrein: „Großvater, Großvater, komm zurück!“
Der Alte kam zurück, weil er glaubte, die Gutsherrin wolle ihm noch etwas schenken, und verneigte sich. Doch sie fragte: „Großvater, gab ich dir ein Ei?“ „Freilich, Herrin, das tatet Ihr, und der Herrgott wird Eure Seele retten! Glück und Gesundheit wird er senden, Euch und Euren lieben Kindern.“ „Dann geh nur!“ sagte die Gutsherrin und dachte: Er wird gewiß meiner milden Gabe gedenken.
Bedachte sich’s und rief abermals: „Großvater, Großvater, komm zurück!“
Was mag sie nun wohl wollen? fragte sich der Alte und kam zurück. „Großvater, gab ich dir ein Ei?“
„Freilich, Herrin, das tatet ihr, möge Euch stets Glück und Wohlstand beschieden sein und der himmlische Vater Euch alle Wünsche erfüllen!“
So ist es recht! dachte die Gutsherrin. Er soll für mich zu Gott beten und sich meiner immerdar erinnern.
Da sah sie, daß der Alte schon zum Tor hinaus war und schnellen Schrittes davonging. O weh, er wird mich vergessen, bestimmt wird er mich vergessen!
„Großvater, Großvater, komm zurück!“ schrie sie aus vollem Halse.
Der Alte ging zurück. Was will sie nur, um Himmels willen! dachte er. Sie läßt mich nicht vom Hof!
„Gab ich dir doch ein Ei, Großvater?“ fragte sie wiederum, als er heran war. Da packte ihn der Zorn. „Freilich“, versetzte er, „gabt Ihr mir eines, daß Ihr verrecken möget. Gabt mir ein jämmerliches Ei und hetzt mich schier damit zu Tode! Da habt ihr es!“ Und er warf ihr das Ei vor die Füße.

Märchen aus der Ukraine