Mit der Laterne auf Freite

Also da war ein Bauernjunge, und der ging über den Scheunenhof und er hatte eine Stalllaterne und die hatte er angesteckt. Und als er durchs Tor ging, sah ihn der Bauer, wie er von einem der Gebäude kam, und er sagt zu ihm: „Wohin gehst du, Junge?“
„Na“, sagt er, „ich war auf der Freite, Bauer.“
„Auf der Freite“, sagt er, „mit einer Laterne?“ Er sagt: „Wie ich auf die Freite ging, hab ich nie eine Laterne genommen.“
„Nein“, sagt der Junge, „aber schaut nur, was Ihr gekriegt habt“, sagt er, „und ich will sehen, was ich bekomme.“

aus England

Der Wolf als Freier

Der Wolf als Freier

Der Hase schlug Haken um Haken im Heidekraut auf den Hügeln, hoppelte auch mir nichts, dir nichts ins grüne Tal hinab und stieß dort unvermutet auf eine Farm. Vor dem Haus sah er die schöne Farmerstochter umhergehen, fand an ihr Gefallen und schickte am nächsten Tag den Bären als Brautwerber hin.
„Den Hasen mag ich nicht“, entschied das Mädchen, „er hat keinen rechten Schwanz.“
Da tuschelten die Tiere im Walde miteinander von nichts anderem mehr, als dass der Hase einen Korb erhalten habe. Sein Schwanz sei nämlich zu kurz geraten. Das kam auch dem Wolf zu Ohren. „Vielleicht glückt’s mir“, dachte er, „ist doch mein Schwanz viel länger als der des Hasen!“ Und er schickte den Bären als Brautwerber auf die Farm.
„Den Wolf finde ich stattlicher als den Hasen“, sagte das Mädchen, als es erfahren hatte, wer um ihre Hand anhielt. „Ihn will ich gern zum Manne nehmen.“
Dem Wolf hüpfte das Herz vor Freude, als er das Jawort des Mädchens erhielt. Er lud alle Tiere zur Hochzeitsfeier ein, um damit zu prahlen, die schöne Farmerstochter zur Frau bekommen zu haben. Am Morgen des Hochzeitstages lief er zum Hasen und lud ihn zu der Feier ein.
„Es tut mir leid“, sprach der Hase, der sich krank stellte, „an der Lustbarkeit nicht teilnehmen zu können. Erst gestern war ich in einem Kohlgarten zum Schmaus, heute tut mir der Magen weh.“
„Ach was“, erwiderte der Wolf, „komm mir nicht mit faulen Ausreden! Wo finde ich noch einen, der so hopsen und hüpfen kann? Nein, ohne dich wird unser Fest nur halb so schön!“
„Ich halte mich kaum auf den Beinen“, klagte der Hase, „wie soll ich den Weg hin und zurück schaffen?“ Weiterlesen

Wer hat die Tauben gegessen?

Wer hat die Tauben gegessen?

Die Frau eines Schusters hatte zwei Tauben gebraten, eine für sich und eine für ihren Mann. Sie waren wunderbar goldgelb geraten. Da sie noch draußen zu tun hatte, stellte sie die Tauben auf den Backofen und ging hinaus.
Der Schuster nähte inzwischen. Ab und zu hob er die Nase und sog den lieblichen Duft in sich ein, der die ganze Stube erfüllte. Schließlich kitzelte ihn der Duft so stark in der Nase, dass ihn seine Naschhaftigkeit nicht länger auf seinem Schemel aushalten ließ. Kaum war die Frau zur Tür hinaus, sprang er von seinem Schemel auf und stand auch schon an der Pfanne. Bevor er jedoch nach einem Täubchen griff, lauschte er gespannt, ob seine Frau nicht noch im Flur sei, und zwar deshalb, weil er vor ihr Angst hatte. Das bestritt er zwar, aber es war so und nicht anders. Draußen war alles still, und der Schuster zog eine Taube aus der Röhre und aß sie auf. Ein Hungriger wird nur satt, wenn er isst, sagt ein altes Sprichwort. Der Schuster war naschhaft und hungrig, deshalb hatte er an einem Täubchen auch nicht genug; ohne lange zu überlegen, griff er nach dem zweiten und aß auch dieses ohne jegliche Gewissensbisse auf. Dann setzte er sich wieder auf seinen Dreifuß und nähte eifrig.
Die Frau kam in die Küche zurück, und weil gerade Mittag war, stellte sie die Teller auf den Tisch und trug die Suppe auf. Alles ging gut, doch als sie den Braten bringen wollte, brach aus heiterem Himmel ein Gewitter los. „Wer hat die Täubchen gegessen?“ lautete der erste Donnerschlag. Weiterlesen

Die zwölf hilfreichen Brüder

Die zwölf hilfreichen Brüder

Es lebte einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter, davon war die eine fleißig, die andere faul. Die Witwe liebte aber die faule, weil sie ihre rechte Tochter war. Die andere musste von früh bis spät das Aschenputtel im Hause sein.
Eines Tages mitten im Winter schickte die Frau das Stiefkind in den Wald, damit es sich nach Schneeglöckchen für die Schwester umsehe. Das Kind schlug ein Tuch um die Schultern und watete durch den tiefen Schnee in den Wald hinaus. Es ging auf gut Glück immer fort, bis die Nacht einbrach. Ein Wind kam auf, fuhr durch das kahle Geäst, und dem Mädchen ward angst und bange. Plötzlich deuchte ihm, es sehe ein Licht zwischen den Bäumen blinken. Dort sollten wohl Leute wohnen, dachte es und stapfte auf das Licht zu. Nicht lange, so erreichte es eine Wiese, auf der saßen zwölf Männer um einen brennenden Holzstoß. Alle zwölf hatten kostbare Kleider an, der eine war ganz in Silberbrokat, der zweite in Goldstoff, der dritte in braunen Samt, der vierte in grüne Seide gekleidet.
„Wer bist du und was suchst du nachts im Walde?“ fragte der Mann im silber­nen Rock.
Das Mädchen gab ihm Rede und Antwort, vergaß auch nicht, von der bösen Stiefmutter zu erzählen, die es hinausgeschickt hatte, Schneeglöckchen für die Schwester zu suchen.
„Schneeglöckchen im Januar? Die blühen ja erst im März!“
„Drum bleibe ich hier und warte, bis es Frühling wird. Eher erfriere ich, als dass ich mit leeren Händen vor die Mutter trete.“ Weiterlesen

Das Häschen und die Rübe

Das Häschen und die Rübe

Es schneite schon lange, Felder und Hügel waren mit hohem Schnee bedeckt. Häschen hatte nichts zu essen, und es ging fort, um Futter zu suchen. Da hatte es großes Glück: Es fand zwei Rüben. Häschen aß eine Rübe und hob die andere auf. Es dachte: Es schneit so sehr, und es ist so bitter kalt, gewiss hat Eselchen nichts zu essen. Ich will ihm die Rübe bringen.
Häschen lief zu Eselchens Haus, aber Eselchen war ausgegangen. Häschen legte die Rübe auf den Tisch und ging wieder fort. Auch Eselchen war ausgegangen, um Futter zu suchen. Es fand ein paar Kartoffeln und ging zufrieden nach Hause. Als es die Haustür öffnete, erblickte es die Rübe. Woher mag diese Rübe sein? fragte es sich. Dann aß es seine Kartoffeln und dachte: Es schneit so sehr, und es ist so bitter kalt, gewiss hat Lämmchen nichts zu essen. Ich will ihm die Rübe bringen.
Eselchen lief zu Lämmchens Haus, aber Lämmchen war ausgegangen. Eselchen legte die Rübe auf den Tisch und ging wieder fort. Auch Lämmchen war ausgegangen, um Futter zu suchen. Es fand einen Kohlkopf und ging zufrieden nach Hause. Als es die Haustür öffnete, erblickte es die Rübe. Woher mag diese Rübe sein? fragte es sich. Dann aß es den Kohlkopf und dachte: Es schneit so sehr, und es ist so bitter kalt, gewiss hat Rehlein nichts zu essen. Ich will ihm die Rübe bringen.
Lämmchen lief zu Rehleins Haus, aber Rehlein war ausgegangen. Lämmchen legte die Rübe auf den Tisch und ging fort. Auch Rehlein war ausgegangen, um Futter zu suchen. Es fand frische Blätter und ging zufrieden nach Hause. Als es die Haustür öffnete, erblickte es die Rübe. Woher mag diese Rübe sein? fragte es sich. Dann aß es die frischen Blätter und dachte: Es schneit so sehr, und es ist so bitter kalt, gewiss hat Häschen nichts zu essen. Ich will ihm die Rübe bringen.
Rehlein lief zu Häschens Haus, aber Häschen hatte sich satt gegessen, war zu Bett gegangen und schlief. Rehlein wollte es nicht wecken und legte die Rübe auf einen Stuhl. Als Häschen erwachte, rieb es sich verwundert die Augen: Potz Blitz! Die Rübe war wieder da! Es überlegte einen Augenblick, dann sagte es sich: Sicher hat mir ein guter Freund die Rübe gebracht! Dann aß es die Rübe auf. Sie schmeckte sehr gut.

Märchen aus Russland

Der Prahlhans

Der Prahlhans

In einer Siedlung, dicht an der Küste des Eismeeres, lebten einst der Sohn eines wohlhabenden Fellhändlers und der Sohn eines armen Jägers. Nichts ärgerte den Armen mehr, als dass der Sohn des Reichen bei jeder Gelegenheit prahlte, alles ginge ihm gut aus, weil er unter den jungen Leuten der Schlaueste sei. Die meisten wagten nicht, mit ihm darüber zu streiten, denn Kome besaß mehr als sie alle zusammen: große und kleine Schlitten, prachtvolle Hunde und Rentiere, bestickte Pelzwesten und Pelzstiefel.
Uakat, der Arme, überlegte lange und beschloss, dem Angeber Kome eine Lehre zu erteilen.
Eines Tages fuhr Kome mit dem Schlitten durch die Siedlung – nur so zum Spaß. Man begrüßte ihn und fragte wie immer: „Nun, was gibt es Neues?“
„Vielleicht ist es neu für euch, was ich gerade gehört habe“, antwortete Kome und wartete, bis alle ihn gespannt ansahen. „Man sagt sogar in der Nachbarsiedlung, dass es weit und breit keinen Schlaueren gäbe als mich. Und so ein Schamane1 musste es ja wissen.“
Die jungen Burschen schwiegen betreten, Uakat aber trat vor und antwortete: „Mag sein, dass du anderswo der Schlaueste bist, wir haben es jedenfalls noch nicht bemerkt. Aber lass uns versuchen, wer von uns beiden den anderen am besten überlisten kann.“
„Ja, ja!“ riefen die Burschen. „So soll es sein!“
Kome ärgerte sich. Was sollte er machen? Er überlegte, Wie er sich aus der Sache herauswinden könnte, doch Uakat ließ ihm dazu keine Zeit.
„Fahr jetzt nach Hause und komm morgen früh wieder hierher, dann werden wir weiter sehen. Bis dahin hast du Zeit genug zum Nachdenken. Und ich auch.“
Kome wendete seinen Schlitten und begab sich sogleich zum Schamanen, um sich mit ihm zu beraten. Am nächsten Morgen fuhr er, seiner Sache ganz sicher, mit zwei Rentieren und dem großen Schlitten zu der verabredeten Stelle. Sein Weg führte ihn an einem langgestreckten Hügel entlang. Auf der schnellen Fahrt bemerkte er plötzlich einen gestickten Fellschuh auf dem Wege. Doch Uakat, der sich wenige Schritte weiter hinter einigen Felsblöcken versteckt hatte, sah er nicht. Kaum war Komes Schlitten vorbei, sprang Uakat hervor, nahm den Schuh, kletterte eilig über den Hügel und legte ihn auf der anderen Seite der Anhöhe nieder. Auch dort verbarg er sich, um zu beobachten, was Kome tun würde. Der kam auch bald gefahren und hielt die Rentiere an.
„Nein, so etwas! Schon wieder ein Schuh! Wie schade, dass ich den anderen nicht aufgehoben habe. Es gäbe ein schönes Paar.“ Dann überlegte er. Ich will doch zurückgehen und ihn holen.
So band er die Rentiere am Pfosten eines Geheges fest, denn zum Wenden war der Pfad zu schmal, und lief zu Fuß quer über den Hügel, um den Weg abzukürzen.
Kaum war Kome verschwunden, als Uakat aus seinem Versteck heraussprang, die Rentiere losband und eilig mit ihnen davonfuhr.
Kome suchte die Stelle, wo er meinte, den Schuh gesehen zu haben, doch der war nirgends zu erblicken. Ärgerlich machte er kehrt. Wie groß war sein Schreck, als er feststellte, dass Schlitten und Rentiere verschwunden waren. Jetzt wusste er, wer ihn überlistet hatte.
„0 dieser Schlauberger! Wie dumm war ich, mich von ihm so anführen zu lassen.“
Er ging der Schlittenspur nach und gelangte zur Jaranga2 des armen Uakat. Dort standen schon viele junge Leute und lachten schadenfroh, als sie Kome zu Fuß herankommen sahen.
Uakat ging ihm entgegen. „Nun, Kome“, rief er, „glaubst du immer noch, der Allerschlaueste zu sein?
Kome antwortete: „Ich gebe zu, es ist dir gelungen, mich heute gehörig hereinzulegen. Mit einem einzigen Schuh hast du mich um zwei Rentiere gebracht. Aber wenn wir uns noch einmal miteinander messen, werde ich sie dir wieder abnehmen“, und er zürnte dem Schamanen, der ihm keinen brauchbaren Rat gegeben hatte.
Die jungen Leute lachten jetzt laut und unverhohlen und nannten ihn von Stund an Kome Prahlhans. Und dabei blieb es.

Märchen der Tschuktschen

‚ = Medizinmann, Zauberpriester

2 = Wohnzelt der Tschuktschen