Die zwölf hilfreichen Brüder

Es lebte einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter, davon war die eine fleißig, die andere faul. Die Witwe liebte aber die faule, weil sie ihre rechte Tochter war. Die andere musste von früh bis spät das Aschenputtel im Hause sein.
Eines Tages mitten im Winter schickte die Frau das Stiefkind in den Wald, damit es sich nach Schneeglöckchen für die Schwester umsehe. Das Kind schlug ein Tuch um die Schultern und watete durch den tiefen Schnee in den Wald hinaus. Es ging auf gut Glück immer fort, bis die Nacht einbrach. Ein Wind kam auf, fuhr durch das kahle Geäst, und dem Mädchen ward angst und bange. Plötzlich deuchte ihm, es sehe ein Licht zwischen den Bäumen blinken. Dort sollten wohl Leute wohnen, dachte es und stapfte auf das Licht zu. Nicht lange, so erreichte es eine Wiese, auf der saßen zwölf Männer um einen brennenden Holzstoß. Alle zwölf hatten kostbare Kleider an, der eine war ganz in Silberbrokat, der zweite in Goldstoff, der dritte in braunen Samt, der vierte in grüne Seide gekleidet.
„Wer bist du und was suchst du nachts im Walde?“ fragte der Mann im silber­nen Rock.
Das Mädchen gab ihm Rede und Antwort, vergaß auch nicht, von der bösen Stiefmutter zu erzählen, die es hinausgeschickt hatte, Schneeglöckchen für die Schwester zu suchen.
„Schneeglöckchen im Januar? Die blühen ja erst im März!“
„Drum bleibe ich hier und warte, bis es Frühling wird. Eher erfriere ich, als dass ich mit leeren Händen vor die Mutter trete.“
Die Männer hatten Erbarmen mit dem Kind, beratschlagten auch miteinander, wie man ihm helfen könnte. Endlich fan­den sie ein Mittel. Der Mann im silber­nen Rock neigte den Stab aus Eis, den er in der Hand hielt, und sprach:
„Siehe, wir Brüder sind die zwölf Monate des Jahres. Zurzeit bin ich’s, der Januar, der schaltet und waltet. Pass auf, gleich übergebe ich meinem Bruder Februar den Stab, und er reicht ihn an den März weiter, der Veilchen und Schnee­glöckchen blühen macht. Ans Werk, Brü­der!“ rief er laut und drückte dem Februar den Stab in die Hand. Sofort hörte es auf zu stöbern, warme Winde rauschten in den Ästen, und der Schnee taute und zerrann. Der Februar streckte dem stürmischen März den Stab hin, und schon setzten die Bäume Knospen an und spross das Gras aus der Erde.
„Spute dich“, mahnte der März das Mädchen, das verblüfft und reglos dastand, „dir ist nur eine Stunde gegeben.“
Da fasste sich das Kind, ließ den Blick schweifen, sah die Lichtung voll weißer Blüten stehen und pflückte im Nu einen Strauß. Als es sich nach den hilfreichen Brüdern umwandte, waren alle zwölf verschwunden, und kein Feuer brannte mehr auf der Wiese. Das Mädchen lief nach Hause, und wie’s über die Schwelle trat, stöberte es draußen wieder und krachten im Frost die Sparren. Die Mutter und die rechte Tochter machten große Augen, als sie den schönen Strauß erblickten, und das Stiefkind musste ihnen berichten, was ihm im Walde begegnet war.
„Dumme Gans“, schalt die Mutter, „hättest die Gelegenheit wahrnehmen und dir Erdbeeren, Äpfel und Birnen ausbitten sollen!“
Nun hüllten sich Mutter und Tochter in dicke Pelze, holten auch einen Sack herbei und machten sich auf zur Wiese im Walde. Alsbald sahen sie das Licht zwischen den Bäumen blinken, eilten dar­auf zu und fanden die Brüder am brennenden Holzstoß sitzen. Sie seien nach Gaben aus, sagte die Mutter, der Juni solle ihnen frische Erdbeeren, der Juli Gurken, der August Äpfel und Birnen, der September Nüsse bescheren.
„Halt“, fiel der Januar ihr ins Wort, „noch schalte und walte ich hier nach meinem Belieben!“ Er richtete den Stab empor, ein scharfer Wind sprang auf, pfiff durchs Geäst und peitschte Mutter und Tochter den Schnee ins Gesicht, dass ihnen Sehen und Hören verging.
Was aus den beiden ward, davon schweigt das Märchen, nur fanden weder Mutter, noch Tochter aus dem Walde zurück. Das Stiefkind aber legte hinter dem Haus einen wohlgepflegten Garten an, in dem schöne Blumen und Kräuter wuchsen, und zu jeder Jahreszeit gingen ihm die zwölf Brüder zur Hand.

Märchen aus der Slowakei