Die Erschaffung der Erde

Einmal, als Gott und der Böse sich über dieses und jenes unterhielten, kamen sie auf die Erde zu sprechen, wie man sie wohl machen könne. Der Böse glaubte nicht an Gottes Macht, Gott aber sagte zu ihm, er solle dahin gehen, wo die Meere zusammenstoßen und ihm den Meerschaum bringen.

Gott nahm den Meerschaum, tauchte ihn ins Wasser und machte einen Fladen daraus, welcher zu Erde wurde, als er ihn fortwarf. Am Anfang war er so groß wie ein Kuchen­blech und zuletzt wie eine Tenne, in deren Mitte er einen Nussbaum pflanzte. An diesen band er eine goldene Schau­kel und begann zu schaukeln. Plötzlich schlief er ein. Da schlich sich der Böse ganz leise heran, band die Schaukel samt Gott los und beschloss, ihn ins Wasser zu werfen und zu ertränken. Er machte sich auf den Weg ans Ende der Erde, zum Wasser; er suchte mal hier und mal dort, um das Ende zu finden, aber es gab kein Ende, denn die Erde war so groß und endlos geworden. Nach einiger Zeit erwachte Gott und noch schlaftrunken, als er den Bösen sah, sprach er: »Satan, was machst du?«

»Ich wollte dich ertränken und suchte das Ende der Erde«, gestand der Böse.

»Danach kannst du lange suchen und wirst es nie finden«, erwiderte Gott.

Nach dem Nussbaum machte Gott wildes Geranium und Basilienkraut und alle anderen Gräser. Dann schuf er den Menschen und die Tiere. Gott machte den Menschen aus Erde und stellte ihn zum Trocknen. Der Böse aber schlich sich heimlich heran und durchlöcherte mit einem Pfriem den Menschen an einundvierzig Stellen. Da kam Gott, um dem Menschen die Seele einzuhauchen, doch zu seinem Er­staunen blieb sie nicht darin. Er erriet die Ursache, sam­melte Kräuter, stopfte vierzig Löcher zu und ließ nur eines auf. Nachdem er nun dem Menschen die Seele eingehaucht hatte, richtete sich dieser auf und fragte: »Gott, warum ver­stopfst du nicht auch dieses Loch?« »Dieses Loch ist der Tod!«

Deshalb müssen wir Menschen sterben. Denn aus diesem Loch entgeht die Seele. Die Kräuter aber, mit denen er die Löcher verstopfte, wurden Heilkräuter. Der Böse, der Gott in nichts nachstehen wollte, machte aus Erde den Wolf. Doch soviel er sich auch mühte, er konnte ihm kein Leben geben. Zu dieser Zeit kam Gott zu ihm auf Besuch, und der Böse, der sich rühmen wollte, dass er auch etwas könne, sprach zu dem Wolf: »Steh auf, friss Gott!«

Aber der Wolf rührte sich nicht. Gott sah ihn an und sprach:

»Steh auf, friss den Bösen!«

Der Wolf sprang hoch und riss dem Bösen ein Stück aus sei­nem Fuß; seit dieser Zeit hinkt er.

Nach einer langen Weile wurde der Wolf hungrig und fragte Gott: »Wovon soll ich mich ernähren?«, doch er antwortete ihm, dass ihn die Hirten der Reihe nach nähren werden; und so ernährte sich der Wolf lange Zeit. Einmal ging Gott Schafe hüten, weil er den Hirten Wasser holen geschickt hatte. Da sah er den Wolf kommen.

»Schäfer, welches Schaf wirst du mir zum Fressen ge­ben?«

Gott wies ihm ein klapperdürres Zicklein, aber das gefiel dem Wolf nicht, denn er wollte jenes einjährige dort, das den Schafen vorausgelaufen war. Gott willigte ein und be­gann die Schafe zusammenzutreiben. Doch plötzlich kam das klapperdürre Lamm hervor. Der Wolf aber stürzte los, um das Schaf zu packen, das er wollte. Daraufhin zog Gott seine Handschuhe hervor und warf sie ihm hinterher; die verwandelten sich in Hunde und jagten dem Wolf nach. Dann nahm er seine Hirtenflöte und schlug dem Wolf ins Kreuz.

Seit dieser Zeit hat der Wolf ein schwaches Kreuz, aber einen starken Nacken. Von da an sind für den Wolf schwere Zeiten gekommen: wenn er viel erhaschen kann, frisst er 40 Oka Fleisch auf einmal; wenn er nichts erbeuten kann, er­duldet er 40 Tage Hunger und nährt sich von Laub und fau­len Baumrinden.

Märchen aus Bulgarien