An einem Gewässer hauste der Fischer Atam mit den Seinigen. Tag um Tag ging er mit dem ersten Hahnenschrei fischen und kehrte erst spät am Abend in die Kate zurück. Nicht jederzeit lachte ihm das Glück, nicht immer zog er einen Fang ans Land.
Einmal, als er das ausgeworfene Netz einholte, sah er einen großen, silbrig schimmernden Fisch darin zappeln. Außer sich vor Freude rief er seinen Sohn Amo herbei, damit der das Netzende halte, bis er ein Fischeisen holte. Amo aber, dem der schöne Fisch leid tat, ließ ihn schwimmen. Als Atam zurückgekehrt das Netz leer sah, verabreichte er zornentbrannt dem Sohn eine Ohrfeige.
Ohne ein Wort zu sprechen, begab, sich Amo nach Hause, legte die feinsten Kleider an und nahm Abschied von der Mutter.
„Vater hat mir Unrecht angetan“, sagte er, „drum ziehe ich fort von euch, um in der Welt mein Glück zu versuchen.“
Ziellos wanderte er von Dorf zu Dorf, die Leute nach Arbeit ausfragend, fand aber nirgends eine. Müde geworden, legte er sich zur Abendstunde an einem Waldsee nieder, um die Nacht über auszuruhen. Am Morgen mit steifen Gliedern erwacht, sah er einen Jüngling herantreten, der grüßte ihn freundlich und sagte:
„Steh auf, Amo, wir haben den gleichen Weg!“
„Wer bist du und was hast du vor?“ fragte Amo den Fremden.
„Achmed ist mein Name, auch ich bin ausgezogen, mein Glück zu versuchen. Laß uns miteinander wandern!“
Dagegen war nichts einzuwenden. Sie machten sich auf die Beine, schritten auch wacker aus und kamen gegen Abend in eine Stadt, in der Händler auf dem Marktplatz ihre Ware anpriesen.
Als Amo und Achmed daselbst um Arbeit nachfragten, sagte ein Händler:
„Ich brauche einen tüchtigen Gehilfen. Komm, Achmed, ich stelle dich als Markthelfer an!“
„Besten Dank, ehrbarer Mann“, erwiderte Achmed, „nur solltest du auch meinen Bruder in Arbeit und Brot bringen.“
„Das läßt sich einrichten. Schau hin, der Händler dort braucht ebenfalls einen Gehilfen. Tritt dein Bruder die Stelle an, seid ihr in nächster Nachbarschaft tätig.“
Also verdingten sich beide. Achmed hatte einen redlichen Gebieter, und die Arbeit brannte ihm auf den Nägeln. Er verstand sich aufs Handelsgewerbe und ward bald so wohlhabend, daß er sich ein eigenes Haus bauen und darin einen Laden eröffnen konnte.
Amo dagegen kam auf keinen grünen Zweig. Sein Brotgeber war argwöhnisch und geizig, darum mieden ihn die Käufer, und sein Einkommen war schlecht. Eines Tages stand er vor dem Nichts, und auch Amo mußte fortan am Hungertuch nagen.
Mittlerweile verkaufte Achmed, zu Reichtum gekommen, Haus und Laden, ging zu Amo und sagte:
„Kündige deinem Gebieter, wir verlassen morgen die Stadt!“
„Wohin begeben wir uns?“ fragte Amo.
„Das erfährst du später, jetzt aber mach dich zurecht!“
Amo kündigte dem Händler, schnürte sein Bündel, und am nächsten Morgen zogen beide Freunde zur Stadt hinaus.
Nach einem Stück Weges gelangten sie zu demselben See, an dem einst Amo übernachtet hatte und wo Achmed an ihn herangetreten war.
„Hier“, sagte Achmed, „beschlossen wir, alles miteinander zu teilen. Darauf suchten und fanden wir Arbeit. Ich machte gute Geschäfte, dir wandte das Glück den Rücken. Schau, all das Geld, das ich zusammengerafft habe, soll nun dir gehören. Du halfst mir aus mitleidigem Herzen, als dein Vater mich als Fisch im Netz zappeln hatte, und ließest mich schwimmen. Wie die Tat, so der Lohn! Kehre nun zu den Deinigen zurück und sei bis an dein Lebensende ein ganzer, rechter Mann!“
Noch ehe Amo antworten konnte, verwandelte sich Achmed in einen silbrig schimmernden Fisch, sprang ins Wasser und entschwand in der Tiefe.
Kurdisches Märchen