Zwei Jäger, ein alter und ein junger, saßen am Feuer und unterhielten sich. Worüber unterhalten sich Tierfänger? Über die Jagd und über die Jäger.
Über alles sprachen sie: wie man auf kahlem Felsen Spuren entdeckt, wie man den Fuchs aus der Höhle treibt, wie man das wilde Rentier beschleicht. Über alles sprachen sie, und in allem waren sie sich einig. Es kommt indes selten vor, dass zwei sich unterhalten und über nichts streiten. Auch die beiden Jäger gerieten in Streit: wer beim Tierfang mehr Erfolg habe – ein junger oder ein alter Jäger?
„Wie wollt ihr alten Jäger euch mit uns jungen messen!“ sagte der junge Jäger. „Ein junger hat viel Kraft. Er scheut sich nicht, mit einem starken Bären zu kämpfen!“
Der Alte lachte. „Wir alle sind in der Jugend dumm. Ist etwa der Bär des Menschen Gefährte, dass er mit ihm kämpfen könnte wie bei einem Volksvergnügen ? Ein guter Jäger weiß, wo der Bär wechselt, und hält die Pfeile bereit.“„Ein junger Jäger hat flinke Beine. Er holt den Polarfuchs ein!“
„Ein alter Jäger schickt dem Polarfuchs seinen Hund auf die Fährte und lauert ihm an der anderen Seite auf.“
Der Alte schwieg, dachte nach und fügte dann hinzu: „Kann ein junger Jäger etwa lange ohne Nahrung auskommen? Wenn er einen Tag und eine Nacht im Walde herumgestreift ist, läuft er vor Hunger zurück zu seinem Haus.“
„Dafür will ein alter Jäger fettes, weiches Fleisch“, antwortete der Junge. „Ein junger Jäger zerbeißt mit seinen kräftigen Zähnen Sehnen und Knochen, und schon hat er neue Kraft.“
So stritten sie und stritten, bis sich ein dritter Jäger zu ihnen gesellte.
Er hörte dem Streit zu und sagte dann: „Ich bin den hohen Berg heruntergekommen. Von dort kann man weit blicken. Da habe ich nördlich von hier einen Elch im Schnee schlafen sehen. Einer von euch möge bis auf einen Pfeilschuss zu ihm kriechen und seinen Handschuh dort liegenlassen. Der andere soll den Handschuh zurückholen. Dann werden wir ja erfahren, wer der bessere Jäger ist.“
Die beiden anderen Jäger willigten ein.
Der Alte machte sich als erster auf den Weg. Wo es ging, versteckte er sich hinter Bäumen, eine Zeitlang kroch er. Und wenn es nötig war, lag er da wie ein Stein, ohne zu atmen und sich zu bewegen. Schon sah er den Elch mit geschlossenen Augen im Schnee hegen und wiederkäuen. Genau von hier aus hätte er ihn schießen können. Der Jäger ließ seinen Handschuh liegen und kroch zurück. Der Elch käute wieder, er hatte nichts gemerkt.
Jetzt war der junge Jäger an der Reihe. Wo es ging, lief er, wo es möglich war, sprang er, doch so leicht, dass der Schnee nicht knirschte und der Stiefel nicht knackte. Er holte den Handschuh und machte sich auf den Rückweg. Der Elch hatte nicht einmal die Ohren bewegt.
„Ihr seht, es liegt nicht am Alter“, sagte der dritte Jäger. „Du, Alter, bist ein guter Jäger. Du, Junger, bist auch ein guter Jäger. Ihr braucht euch nicht zu streiten.“
Märchen der Ewenken