Es war einmal eine arme Frau, die ging in den Wald, um Holz zu lesen. Als sie mit ihrer Bürde auf dem Rückwege war, sah sie ein krankes Kätzchen hinter dem Zaune liegen, das kläglich schrie. Die arme Frau nahm es mitleidig in ihre Schürze und trug es nach Hause. Auf dem Wege kamen ihre beiden Kinder ihr entgegen, und als sie sahen, dass die Mutter etwas trug, fragten sie: „Mutter, was trägst du?“ und wollten gleich das Kätzchen haben. Aber die mitleidige Frau gab es ihnen nicht, aus Sorge, sie möchten es quälen, sondern sie legte das Kätzchen zu Hause auf alte, weiche Kleider und gab ihm Milch zu trinken. Als das Kätzchen sich gelabt hatte und wieder gesund war, war es mit einemmal fort und verschwunden.
Nach einiger Zeit ging die arme Frau wieder in den Wald, und als sie mit ihrer Bürde Holz wieder an die Stelle kam, wo das kranke Kätzchen gelegen hatte, da stand eine ganz vornehme Dame dort. Die winkte die arme Frau zu sich und warf ihr fünf Stricknadeln in die Schürze. Die Frau wusste nicht recht, was sie denken sollte; es dünkte diese absonderliche Gabe sie gar zu gering. Doch nahm sie die fünf Stricknadeln mit sich und legte sie des Abends auf den Tisch. Aber als die Frau am andern Morgen ihr Lager verließ, da lag ein paar neuer, fertig gestrickter Strümpfe auf dem Tische. Das wunderte die arme Frau über alle Maßen. Am nächsten Abend legte sie die Nadeln wieder auf den Tisch, und am andern Morgen darauf lagen neue Strümpfe da. Jetzt merkte sie, dass ihr die fleißigen Nadeln beschert waren, weil sie Mitleid mit dem kranken Kätzchen gehabt hatte. Sie ließ die Nadeln nun jede Nacht stricken, bis sie und die Kinder genug Strümpfe hatten. Dann verkaufte sie auch Strümpfe und hatte genug bis an ihr seliges Ende.
Ludwig Bechstein