Ich bring dich durch die Nacht – Reinhard Mey

 

Die Schatten werden länger,
Der graue, grame Grillenfänger
Streicht um das Haus.
Der Tag ist aus.
Die Ängste kommen näher,
Sie stell‘n sich größer, krall‘n sich zäher
In der Seele fest,
In deinem Traumgeäst.
Manchmal ist es bis zum anderen Ufer der Nacht
Wie ein lichtloser Tunnel, ein nicht enden wollender Schacht.

Ich bring dich durch die Nacht,
Ich bring dich durch die rauhe See
Ich bring dich durch die Nacht,
Ich bringe dich von Luv nach Lee.
Ich bin dein Lotse, ich bin dein Mann,
Bin deine Schwester, lehn dich an,
Ich bin der Freund, der mit dir wacht,
Ich bring dich durch die Nacht.

Alles erscheint dir schwerer,
Bedrohlicher und hoffnungsleerer.
Mit der Dunkelheit
Kommen aus dunkler Zeit
Ferne Erinnerungen,
Die Nacht wispert mit tausend Zungen:
Sie alle sind aus,
Du bist allein zuhaus!
Mit deiner stummen Verzweiflung und dem Knistern im Parkett
Und als einzigem Trost das warme Licht des Radios an deinem Bett.

Ich bring dich durch die Nacht…

Laß los, versuch zu schlafen.
Ich bring dich sicher in den Hafen.
Dir kann nichts gescheh‘n,
Wolfsmann und böse Feen
Sind nur ein Blätterreigen
Vorm Fenster, der Wind in den Zweigen
Im Kastanienbaum,
Ein böser Traum,
Der‘s nicht wagt, wiederzukommen, bis der neue Tag beginnt.
Laß los, ich halt dich fest, ich kenn den Weg aus dem Labyrinth.

Ich bring dich durch die Nacht…