Das eigensinnige Mädchen

Das eigensinnige Mädchen

Eines Tages kam der Sohn einer armen Witwe zum Herrscher des Landes und sagte: „Herr König, stell mich als Hirten an! All die Jahre hat mich die Mutter ernährt, nun ist die Reihe an mir, für uns beide zu sorgen.“

„Du scheinst mir ein rechtschaffenes Bürschlein zu sein“, sprach der Herrscher, „ich glaube, du bringst es mit der Zeit zu etwas. Hüte also meine Schafe drei Jahre lang!“

Ein ganzes Jahr hütete der Sohn der Witwe die Schafe des Königs, ohne ein Auge von ihnen zu wenden, erbat sich aber darauf Urlaub und ging die Mutter besuchen. Wie er nun so einherschritt und immer einen Fuß vor den anderen setzte, sah er ein Schlangenjunges den Weg entlang kriechen. Er hob es auf, trug es ins Gebüsch am Wegrand und sagte: „Dum­merchen, wer kriecht schon die Landstraße entlang! Es fehlte nicht viel, und ich hätte dich zertreten.“

Als der Sohn der Witwe drei Jahre beim König abgedient hatte, ließ der ihn ziehen und gab ihm eine Herde Schafe als Lohn für die Arbeit mit auf den Weg. Weiterlesen

Wie die Beuteltiere erstanden

Wie die Beuteltiere erstanden

Beuteltiere, die gibt es fast nur in Australien. Dort leben Kängurus, Beutelratten und Beutelmäuse, Beutelwölfe und Beuteldachse, Koalas und Beutelfüchse und eine Unzahl anderer Tiere, die alle ihre Jungen lange Zeit nach der Geburt in einem Beutel am Bauch tragen, bis die Jungen so groß geworden sind, dass sie sich selber Nahrung suchen und sich frei bewegen können.
Warum aber sind beinahe alle Säugetiere Australiens Beuteltiere? Auf diese Frage gibt ein Märchen Antwort. Weiterlesen

Die Wunder-Gusli

Es war einmal ein Müller, der hatte einen Mühlknecht. Fleißig ging er dem Müller zur Hand. Und als er ihm drei Jahre lang gedient hatte, sprach er: „Meister, gebt mir ein Zehrgeld, ich will in meine Heimat ziehen.“
„Geld besitze ich nicht“, antwortete der Müller, „aber ich will dir eine Gusli geben. Wenn du auf ihr spielst, wirst du Wunder über Wunder erleben.“ Der Müller verstand sich nämlich aufs Zaubern.
Der Bursche nahm die Gusli und machte sich auf den Weg. Er wanderte fürbaß, und als er durch einen Wald kam, wurde er von Räubern überfallen.
„Wohin so eilig, Weißmüller?“ fragten sie.
„In die Heimat“, entgegnete er.
„Gib dein Geld her. Wenn nicht, bist du des Todes.“
„Ich habe kein Geld, wohl aber eine Gusli. Wenn ich auf ihr spiele, werdet ihr Wunder über Wunder erleben.“
„Nun, dann spiel.“
Der Mühlknecht hub an zu spielen, da mussten die Räuber tanzen und konnten nicht wieder aufhören.
„Ach, lieber Weißmüller, halt ein, halt ein, wir geben dir auch einen Sack voll Gold.“
Da hörte der Mühlknecht auf zu spielen, und die Räuber Weiterlesen

Der Alte und der Junge

Der Alte und der Junge

Zwei Jäger, ein alter und ein junger, saßen am Feuer und unterhielten sich. Worüber unterhalten sich Tierfänger? Über die Jagd und über die Jäger.
Über alles sprachen sie: wie man auf kahlem Felsen Spuren entdeckt, wie man den Fuchs aus der Höhle treibt, wie man das wilde Rentier beschleicht. Über alles sprachen sie, und in allem waren sie sich einig. Es kommt indes selten vor, dass zwei sich unterhalten und über nichts streiten. Auch die beiden Jäger gerieten in Streit: wer beim Tierfang mehr Erfolg habe – ein junger oder ein alter Jäger?
„Wie wollt ihr alten Jäger euch mit uns jungen messen!“ sagte der junge Jäger. „Ein junger hat viel Kraft. Er scheut sich nicht, mit einem starken Bären zu kämpfen!“
Der Alte lachte. „Wir alle sind in der Jugend dumm. Ist etwa der Bär des Menschen Gefährte, dass er mit ihm kämpfen könnte wie bei einem Volksvergnügen ? Ein guter Jäger weiß, wo der Bär wechselt, und hält die Pfeile bereit.“ Weiterlesen

Die vier Musikanten

Die vier Musikanten

Eines Abends kamen vier Musikanten in ein verfallenes Schloss. Der Mond beschien die geborstenen Mauern, und die Bäume reckten ihre Aste zu den Fensterhöhlen hinein.
„Freunde“, schlug ein Musikant den anderen vor. „Wollen wir den letzten Schlossbewohnern nicht ein Liedchen vorspielen?“
Die anderen waren einverstanden, und sie spielten eine lustige Weise, die seltsam in dem alten Gemäuer widerhallte. Als sie verklungen war, kam ein winziges, dürres Männlein aus einer Mauerspalte, dankte ihnen für ihr Spiel und schenkte jedem ein Nusszweiglein mit der Bitte, es den Kindern mitzubringen. Die Musikanten nahmen die Zweige, warfen sie aber unterwegs verächtlich fort und spotteten sogar über die wertlose Gabe. Nur einer steckte sein Zweiglein in die Tasche und schenkte es nach der Heimkehr seinen Kindern. Weiterlesen

Der Krug der alten Frau

Einst lebte in einem Schloss ein böser Graf. Tagsüber tötete er die Hirsche in den Wäldern. Des Nachts schlief er erst ein, wenn er sich zuvor die Gefangenen in seinem Kerker angeschaut hatte. Ihre Seufzer und ihre Gebete machten ihm Vergnügen. Traf er auf seinen Ausritten auf ein Tier, so schlug er es. Stieß er auf einen Wanderer, so misshandelte er ihn. Wenn er sich von weitem einem Dorfe näherte, so flohen alle Menschen in ihre Häuser. Mütter brachten ihre kleinen Kinder eilends vor ihm in Sicherheit.
An einem trüben und nebligen Herbsttag ritt er allein zwischen den zur Hälfte entlaubten Bäumen hindurch, die den Weg säumten, auf seinem hohen, schwarzen Ross. Er kam an eine Quelle. Dort sah er, wie eine alte Frau vergeblich versuchte, einen gefüllten Krug mit sich zu schleppen. Sie war sehr arm, denn sie war in Lumpen gehüllt, und sie war sehr schwach, denn ihre mageren Hände hielten zitternd den Henkel umklammert. Sie sah mitleiderregend aus. Auf ihrem verwelkten Gesicht kreuzten sich die Falten, Spuren von Alter, Kummer und Elend. Sie richtete ihre fast erblindeten Augen zu ihm auf und flehte ihn mit schwacher Stimme an: »Habt Erbarmen, Herr. Helft mir!«
Er aber lachte nur höhnisch, und Weiterlesen