Das Öchslein aus Stroh

Es waren einmal ein alter Mann und eine alte. Frau, die lebten in großer Armut. Der Mann arbeitete als Pechsieder in einer Pechsiederei, die Frau aber saß daheim und spann, und der Erlös aus ihrer Hände Arbeit reichte nur fürs Essen und Trinken. Eines Tages bat die Frau ihren Mann: „Mach mir doch ein Öchslein aus Stroh, Alter, und verpich es mit Pech.“
„Was du da schwätzest, du dummes Weib! Wozu brauchst du ein solches Öchslein?“
„Mach es nur, ich weiß schon wozu.“ Wohl oder übel musste sich der Mann darein schicken, machte ein Öchslein aus Stroh und verpichte es mit Pech. Dann legten sie sich schlafen.
Am nächsten Morgen nahm die Frau ihre Spindel, trieb das Öchslein auf die Weide, setzte sich auf einen Hügel, drehte die Spindel und sprach: „Weide, Öchslein, weide grünes Gras, ich dreh indes die Spindel. Weide, Öchslein, weide grünes Gras, ich dreh indes die Spindel.“
Sie drehte die Spindel, sie spann den Faden, und schließlich schlummerte sie ein. Da kam ein Bär aus dem dichten Wald, aus dem düsteren Tann, und sprang auf das Öchslein zu. „Was bist du für einer?“ fragte er. „Sag an.“
Antwortete das Öchslein: „Ein Öchslein bin ich armer Wicht, aus Stroh gemacht, mit Pech verpicht.“
„Ei“, sagte da der Bär, „wenn du aus Stroh bist und mit Pech ver­picht, dann gib mir ein wenig von dem Pech, damit ich mir meine zerschundene Hüfte verpichen kann.“
Das Öchslein aber stand still und stumm. Da schnappte der Bär ihm in die Flanke und wollte ein wenig von dem Pech abbeißen. Er biss und biss, doch die Zähne blieben ihm kleben, er konnte sie nicht wieder herausziehen. So zerrte und zauste er das Öchslein und zerrte es Gott weiß wohin.
Als die Frau erwachte, war das Öchslein verschwunden. „O weh, wohin mag wohl mein Öchslein geraten sein? Am Ende ist es gar schon heimgelaufen.“Flink lud sie sich Spinnbrett und Flachshechel auf die Schulter und machte sich auf den Heimweg. Da sah sie, wie ein Bär das Öchslein durch den Wald zerrte, und lief zu ihrem Mann.
„Alter, he, Alter! Das Öchslein führt uns einen Bären zu. Geh hin und erleg ihn.“
Mit einem Satz sprang der Mann zum Haus hinaus, packte den Bären, riss ihn vom Öchslein los und warf ihn in den Vorratskeller.
Am nächsten Tag, kaum dass der Morgen graute, nahm die Frau ihre Spindel und trieb das Öchslein auf die Weide. Dort setzte sie sich auf einen Hügel, drehte die Spindel und sprach: „Weide, Öchslein, weide grünes Gras, ich dreh indes die Spindel.“
Sie drehte die Spindel, sie spann den Faden, und schließlich schlummerte sie ein. Da kam ein grauer Wolf aus dem dichten Wald, aus dem düsteren Tann, und lief auf das Öchslein zu. „Was bist du für einer? Sag an“
„Ein Öchslein bin ich armer Wicht, aus Stroh gemacht, mit Pech verpicht.“
„Ei“, sagte da der Wolf, „wenn du mit Pech verpicht bist, gib mir ein wenig von dem Pech, damit ich mir die Hüfte verpichen kann, die bösen Hunde haben sie mir ganz zerfetzt.“
„Nimm’s dir!“
Schnell sprang der Wolf auf das Öchslein zu und wollte ein wenig von dem Pech abbeißen. Er biss und biss, aber die Zähne blieben ihm kleben, und trotz allen Mühens vermochte er sie nicht wieder heraus­zuziehen. Er zerrte und zauste das Öchslein und zerrte es davon.
Als die Frau erwachte, war das Öchslein verschwunden. Mein Öchslein ist wohl schon heimgelaufen, dachte sie in ihrem Sinn und machte sich auf den Heimweg.
Da sah sie, wie ein Wolf das Öchslein durch den Wald zerrte. Flugs rannte sie zu ihrem Mann, und der warf auch den grauen Wolf in den Keller.
Am dritten Tage trieb die Frau das Öchslein wiederum auf die Weide, setzte sich auf den Hügel und schlummerte ein. Da kam ein Fuchs gelaufen.
„Was bist du für einer?“ fragte er das Öchslein. „Ein Öchslein bin ich armer Wicht, aus Stroh gemacht, mit Pech verpicht.“
„Gib mir ein wenig von dem Pech, Freundchen, ich will’s mir an die Hüfte streichen. Die bösen Jagdhunde haben mir schier das Fell abgezogen.“
„Nimm’s dir!“
Auch der Fuchs blieb mit den Zähnen am Öchslein kleben und vermochte sich trotz allen Mühens nicht wieder loszureißen. Die Frau sagte ihrem Mann Bescheid, und der warf auch den Fuchs in den Keller.
Zu guter Letzt fingen sie noch das Häslein Hoppelbein.
Als sie nun alle beisammen waren, setzte sich der Mann ans Keller­loch und wetzte das Messer.
Da fragte der Bär: „Großvater, wozu wetzest du dein Messer?“ „Ich will dir das Fell abziehen und mir und meiner Alten daraus Halbpelze nähen.“
„Ach, nimm mir nicht das Leben, Großväterchen, lass mich lieber laufen. Ich will dir auch eine Menge Honig bringen.“ „Aber wehe, wenn du mich betrügst.“
Stand auf und ließ den Bären laufen. Sodann setzte er sich wieder ans Kellerloch und wetzte das Messer.
Da fragte der Wolf: „Großvater, wozu wetzest du dein Messer?“ „Ich will dir das Fell abziehen und mir eine warme Wintermütze daraus nähen.“
„Ach, nimm mir nicht das Leben, Großväterchen, ich will dir auch eine Schafherde zutreiben.“
„Wehe, wenn du mich betrügst.“ Der Mann ließ auch den Wolf laufen, setzte sich wieder hin und wetzte das Messer. Da steckte der Fuchs das Schnäuzchen hervor und fragte: „Großväterchen, warum wetzest du dein Messer, wenn die Frage erlaubt ist?“
„Füchse haben einen feinen Pelz, gar wohl geeignet als Mantelbesatz oder Kragen, darum werd ich ihn dir abziehen.“
„Ach, Großväterchen, lass mir meinen Pelz, ich will dir auch Gänse und Hühner bringen!“
,,Wehe, wenn du mich betrügst.“ Nun war nur noch das Häslein Hoppelbein übriggeblieben, und wieder wetzte der Mann das Messer. Als ihn das Häslein nach dem Warum fragte, gab jener zur Antwort: „Die Häslein haben ein seiden­weiches, mollig warmes Fellchen, daraus kann ich mir für die Winter­zeit Fausthandschuhe und eine Mütze machen.“
„Ach, Großväterchen, nimm mir nicht das Leben, ich will dir auch Ohrringe und Bänder und wunderfeine Münzketten bringen, nur lass mich laufen.“
Da ließ der Mann auch das Häslein laufen.
Am nächsten Morgen pochte es in aller Frühe an die Tür. Die Frau fuhr aus dem Schlaf.
„He, Alter! Da kratzt doch jemand an unsrer Tür, geh schnell und sieh nach!“
Der Mann ging hinaus, sah nach, und da war es der Bär, der einen ganzen Bienenkorb voller Honig angeschleppt hatte.
Der Mann holte den Honig herein, und kaum hatte er sich wieder niedergelegt, pochte es erneut an ihre Tür.
Er ging hinaus, und da war es der Wolf, der ihm so viele Schafe zugetrieben hatte, dass sie den ganzen Hof füllten. Bald kam auch der Fuchs und brachte Hühner, Gänse und anderes Federvieh, und da­nach erschien das Häslein mit Bändern, Ohrringen und wunderfeinen Münzketten.
Eitel Freude herrschte nun bei den alten Leuten. Sie verkauften die Schafe und handelten dafür Ochsen ein, mit denen der Mann Frachten fuhr. Nach und nach gelangten sie zu Wohlstand und hatten alles, was ihr Herz begehrte.
Das Öchslein aber, das niemandem mehr von Nutzen war, stand alleweil in der Sonne, bis es zerschmolz.

Märchen aus der Ukraine